Interview mit Julian Welzel
Als Bodyworker hast Du Dich auf die Arbeit am Bauch spezialisiert – für mich ein ganz besonderer Ort. Hier begann unser eigenes Leben im Leib unserer Mutter. Was fasziniert Dich persönlich an der Arbeit mit dem Bauch?
Julian: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass unser Bauch eine sehr authentische Körperregion ist. Was ich damit meine ist, dass wir in unserem Alltag, in dem wir nach Erfolg und Bestätigung suchen, immer besser, schneller, effektiver und effizienter sein wollen und uns zu diesem Zweck verstellen, uns einen Schutzpanzer und eine gewisse Härte zulegen. Und ein solches Leben funktioniert ganz gut mit zusammengepressten Kiefern, breiten und harten Schultern, einem verkrampften Nacken oder auch – scheinbar etwas positiver – einem durchtrainierten, durch Yogaübungen perfektionierten Körper. (lacht)
Der Bauch offenbart uns dagegen in seiner Weichheit und Schutzlosigkeit ein oftmals ganz anderes Bild. Hier finden sich unsere unverdauten Emotionen, Wunden aus der Vergangenheit aber auch tiefen Wünsche, Bedürfnisse und verborgenen Geheimnisse. Das alles gehört zu unserem Sein genauso dazu, auch wenn wir diesen Dingen in unserem Alltag oft wenig Beachtung schenken oder sie sogar beiseiteschieben. Man spricht nicht umsonst vom so wichtigen "Bauchgefühl" als einer sehr ehrlichen und direkten Wahrheit, die oft gar nicht mit unserer konstruierten Fassade oder unserem erdachten Selbstbild übereinstimmt.
Was bedeutet das für Deine eigene Praxis? Ich durfte ja schon einige Male Sessions bei Dir genießen. Wie würdest Du den Prozess beschreiben?
Wenn wir den Bauch massieren, geht es schneller als bei z.B. den Extremitäten ans Eingemachte, es geht um Intimität und Grenzen. Es ist also eine sehr sensible Körperregion, der man sich mit der gebotenen Achtsamkeit behutsam annehmen muss. Massage am Bauch ist wie das Aufwirbeln des Schlamms am Grund des Sees: Es können unangenehme Empfindungen, längst vergessen Geglaubtes, emotionale Schatten oder körperliche Schmerzen aufsteigen. Aber wie Thich Nhat Hanh sagt: "Kein Schlamm, kein Lotus". Der Weg führt durch den Schlamm – nicht daran vorbei. Oder wie mein Meister in Indien sagte: „No healing without feeling.“ Sich dem Bauch zuzuwenden heißt, sich seinen Gefühlen zu stellen. Das ist nicht immer nur komfortabel oder angenehm, braucht etwas Mut, und gleichzeitig ist auch klar, dass hierin genau das Potential für tiefe Transformation liegt. Man kann dabei viel Schwere aus der Vergangenheit loslassen, sich dem Neuen und Unbekannten öffnen, man fühlt sich lebendiger, strahlender und befreit.
Was ist Chi Nei Tsang und wie bist Du das erste Mal damit in Kontakt gekommen?
Chi Nei Tsang ist eine sehr alte Bauchmassagetechnik und ich bin selbst zunächst als Empfänger zu dieser Massage gekommen. Ich hatte über viele Jahre chronische Bauchschmerzen und -beschwerden, für die westliche Mediziner weder eine organische Ursache noch messbare körperliche Manifestationen finden konnten. Ich machte mich auf eine Reise durch verschiedene Meditationszentren in den unterschiedlichsten Teilen der Welt und in den unterschiedlichsten spirituellen Traditionen und Schulen. Auf dieser Reise bin ich in Chiang Mai in Thailand auf Chi Nei Tsang gestoßen und habe viele Sitzungen in Reihe empfangen. In diesen Sitzungen habe ich mehr und mehr verstanden, worauf mein Schmerz hinweisen wollte, bin immer mehr zu seinen Wurzeln vorgedrungen und habe viel herumgetragenen Ballast losgelassen. Danach habe ich mich sehr leicht, frei, ganz bzw. integriert gefühlt, sehr "in tune" mit dem Universum.
Der Bauchraum und die inneren Organe sind Spiegel unseres emotionalen Zustands. Welche Wechselwirkungen zwischen dem physischen Körper und dem emotionalen Körper bestehen hier?
Für mich stimmt die Frage nicht ganz. Denn „Wechselwirkungen“ heißt, dass zwei voneinander getrennte Dinge sich gegenseitig beeinflussen. Dahinter versteckt sich das wissenschaftlich-rationale Konzept von "Ursache und Wirkung". Der westliche Ansatz ist: Der Arzt und der Physiotherapeut fokussieren sich auf den physischen Körper, der Psychotherapeut ist für die Seele, die Emotionen, die Gedanken zuständig und des Priesters Domäne ist das Geistliche, die Beziehung zu Gott, ja? (lacht)
In den östlichen Traditionen geht es dagegen darum, den Blick zu weiten, die Bewusstheit zu vergrößern, um die Einheit zu erkennen. Wirf dich nicht auf die Symptome, sondern schaue weiter und tiefer. Der körperliche Schmerz ist dann nicht Ursache oder Wirkung einer schmerzhaften Emotion, es ist einfach Leid, das sich körperlich und emotional ausdrückt, wie du sagst „spiegelt“. Ebenso kann er sich natürlich in bestimmten Gedanken oder energetischen Phänomenen äußern und hat letztlich immer auch eine spirituelle Dimension.
Erzähl doch mal aus deiner Praxis: Welche Blockaden und Themen im Bauch findest du in deiner Arbeit mit Klienten vor? Wie kann Berührung Spannungen im Bauchraum lösen und emotionale Blockaden auflösen?
Die Themen, mit denen Leute zu mir kommen, sind recht unterschiedlich. Das reicht von Menschen, die chronische körperliche Beschwerden haben, die schon von vielen Medizinern befundlos untersucht worden sind. Über Menschen, die Schwierigkeiten in Beziehungen zu ihrer Umwelt haben, die generell wenig fühlen und sich nicht auf tiefere Gefühle einlassen können, bis hin zu Menschen, die unzufrieden sind mit ihrem Leben oder spüren, dass etwas hakt, dass es einen Konflikt in ihnen gibt und ihnen die nötige Klarheit fehlt. Seltener, aber manchmal eben doch, wissen die Klienten bereits von ihren Verletzungen und Wunden der Vergangenheit oder dass sie sich von ihrer cholerischen Wut, chronischen Angst, lähmenden Scham usw. überwältigt fühlen und suchen jemanden, der sie unterstützt, den Kampf damit zu beenden. Und dann gibt es natürlich auch die, die dem Wort nach "nur" aus Neugierde kommen, aber ich glaube, dass allen Menschen gemeinsam ist, dass sie sich nach Berührung, Tiefe, Liebe und einem Ende des Leids sehnen.
Vielleicht hast Du noch einen Tipp an meine Leser, was sie abgesehen vom Empfangen einer Session für sich tun können, um Spannungen im Bauchraum zu lösen?
Ein gutes Mittel ist für mich Selbstmassage. Es ist auffällig, dass wir manche Regionen unsere Körpers noch seltener selbst berühren als den Rest unseres Körpers. Das ist vor allem die Zentrallinie: Kopf, Brustkorb, die Brüste, der Bauch, die Genitalien. Das sind natürlich genau die Regionen, bei denen es auch schwierig ist, sich von jemand anderem berühren zu lassen. Ein erster toller und großer Schritt ist es, sich hier selbst liebevoll zu berühren. Bezogen auf den Bauch kann ich sagen: Keine Angst, du kannst hier nichts kaputt machen, ertaste und massiere deinen Bauch. Egal ob drücken, schieben, ziehen, klopfen, streicheln, mit den Fingern, den Fingerspitzen, der Handfläche, dem -ballen oder der Faust – einfach Erkunden ohne Ziel, Intention und ebenfalls ohne Problematisieren. Wo ist eigentlich meine Leber? Wie fühlt sich der Magen an, wenn man ihn streichelt? Oh, hallo lieber Dickdarm … Und am aller wichtigsten: SPÜRE und FÜHLE!
Wie hängen Atem und Blockaden im Bauchraum zusammen?
Wenn du deine alltägliche Atmung beobachtest, wirst du vielleicht feststellen, dass deine Atmung nicht tief bis ins Hara reicht, dass sie irgendwo blockiert ist, sich nicht frei anfühlt. Wenn ich das jetzt sage, magst du denken: "Mist, ich atme nicht tief genug." Und dann versuchst du, aktiv mit Gewalt über die Blockade hinweg zu atmen bis ins Hara. Das wird ja sogar in manchen yogischen Atemübungen so angeleitet. Die Einladung meines Meisters hingegen lautete immer: "Schau mal genau hin: Ist die Wahrheit anstatt 'Ich atme nicht tief genug' nicht eher 'Ich blockiere meinen Atem'? Die Atmung passiert von ganz alleine, vollkommen natürlich. Atmung ist nicht dein Tun, es ist nicht so, dass DU aktiv atmen musst, um Luft zu bekommen. Was wirklich geschieht: Du blockierst deinen Atem. Löse die Blockade auf, blockiere den Atem nicht mehr, dann passiert es von ganz alleine." Praktisch hat es mir geholfen, bis zu dem Punkt zu atmen, wo es nicht mehr weiter geht, die Blockade zu fühlen und dann ganz liebevoll zu schauen, ob ich das Blockieren sein lassen kann. Wenn die Blockade schmilzt, kann man langsam durch die Blockade hindurch atmen bis sie vollkommen verschwunden ist. Und du wirst merken, dass es zugleich Gründe gab, den Atem zu blockieren.
Beim Thema Bauch liegt natürlich auch das Thema Ernährung nahe. Wie wichtig ist Ernährung für Dich?
(lacht) Jaaaaa, wir leben in Zeiten, in denen viele Leute sich sehr mit ihrer Ernährung identifizieren. Und sich selbst und andere davon zu überzeugen versuchen, sich "richtig" zu ernähren. Meine eigene Erfahrung mit diesem Thema ist, dass es vielleicht nicht so sinnvoll ist, allgemein gültige und verstandesgeleitete Ernährungstipps zu geben, sondern stattdessen auf den Bauch und Körper zu hören, der eigentlich schon ganz gut weiß, was er zu sich nehmen möchte, was er jetzt braucht. Ich weiß, dass es bestimmte Ernährungsformen gibt, die z.B. Beschwerden mit der Verdauung minimieren bzw. reduzieren, aber wenn ich genau hinschaue, ist das meist eher eine Vermeidung des Problems, nicht seine Auflösung an der Wurzel. Wie einer meiner Lehrer einmal sagte: "Wenn alle Emotionen in deinem Bauch verdaut sind, kannst du Ziegelsteine verdauen."
Du hast deine Ausbildung hauptsächlich in Asien empfangen, bist außerdem einige Jahre durch die Meditationswelt gereist. Wer sind Deine Lehrer?
Ich habe das große Glück gehabt, viele Ansätze von Meditation und Heilung erfahren zu dürfen. Dieses spielerische Ausprobieren und Experimentieren hat mich zu vielen sehr verschiedenen Lehrern gebracht, von denen ich immer etwas Bereicherndes mitgenommen habe. Es war mir so, als hätte ich in den verschiedenen Zentren und Schulen etwas aufgesogen, in meinen Koffer gepackt und wäre dann weitergezogen. Bekannte Namen dieser – teilweise auch schon verstorbenen – Lehrer wären: Thich Nhat Hanh, Osho, Amma, Ramana Maharshi, Byron Katie, Mantak Chia, Dr. Yang und viele weitere, unbekanntere Lehrer. Das war eine bunte und spannende Selbsterfahrungsreise, aber auch etwas rastlos, am Weg vorbei und ich bin dabei nicht wirklich angekommen.
Diese Suche hat mich aber letztlich zu zwei Heilern geführt, bei denen ich erstmals wirklich empfangen und damit große innere Transformation erfahren habe: Von Khun Ni und ihren Schülerinnen in Chiang Mai/Thailand habe ich viele Chi Nei Tsang-Sitzungen empfangen, von Shikha Dhyan in Pune/Indien eine ganze Reihe von Ayurvedic Balancing Bodywork Sessions. Beide sind wahre Meister mit einem so reinen Herzen, überwältigender Klarheit, außerordentlicher, erweiterter Wahrnehmung und Egolosigkeit, dass es mir noch heute die Sprache verschlägt. Dass sie mich dann auch noch als Schüler akzeptiert haben, mir Unterricht gegeben haben – Eine Dusche kosmischen Wohlwollens! Ihnen verdanke ich Alles!
Eine Gemeinsamkeit, die wir haben, ist, dass wir beide Zen-Meditation praktizieren. Eine Zeit lang hast Du sogar mit dem Gedanken gespielt, Mönch zu werden, oder? Wie hängen für Dich Meditation und Körperarbeit zusammen?
Hahaha (lacht) Ja, tatsächlich habe ich am Anfang mit dem Gedanken gespielt, Mönch zu werden im buddhistischen Kloster des Achtsamkeitslehrers Thich Nhat Hanh. Das schien mir damals der konsequenteste Weg zu sein, die Meditation zu vertiefen. Und auch ohne letztlich Mönch geworden zu sein, weiß ich seitdem, wie entscheidend die Achtsamkeit ist. Sie macht in der Berührung eines Körpers und eines Wesens DEN Unterschied. Ist der Gebende während der Massage zentriert, präsent und offen für das Subjektive, können aus dieser meditativen Haltung heraus Verspannungen und Blockaden gelöst, Wunden gesehen und losgelassen werden, sprich Heilung geschehen.
Und auch von der Seite des Empfängers ist es meditativ. Mein Meister in Indien fragte immer: „Willst du als Empfänger einer Massage Aufwachen oder tiefer Schlafen?“ Wenn es dem Empfänger gelingt, aus einer Massage eine Meditation zu machen, wird sie zu einer spirituellen Reise zu seinem Zentrum, seinem wahren Selbst, diesem geheimnisvollen Ort ohne Namen und letztlich zu einer Öffnung und Verbindung mit dem Gesamten, dem Kosmos oder wie auch immer man das nennen will.
Veranstaltungstipp
Mehr Informationen
Über Julian Welzel
Julian Welzel begann 2010 mit der Sitzmeditation ehe er sich nach seinem Hochschulstudium auf eine langjährige Reise durch Klöster und Meditationszentren verschiedener Lehrer, Meister und spiritueller Schulen machte (u.a. Thich Nhat Hanh, Osho, Ramana Maharshi, Byron Katie, Mantak Chia).
Diese Reise führte ihn zur Bauchmassage (Chi Nei Tsang) und zu Ayurvedic Balancing Bodywork (Prana basierte Ganzkörpermassage). Nach tiefen Erfahrungen als Empfänger wurde er sodann Schüler von Khun Ni (Chiang Mai/Thailand) und Shikha Dhyan (Pune/Indien), um deren Massagekünste zu erlernen. Ab 2016 gibt er im Rheinland Einzelsitzungen und Workshops.
Mehr Infos und Terminvereinbarungen unter:
0163 1727973
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www.julianwelzel.de
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